Veranstaltung: | 40. Landesdelegiertenkonferenz 2018 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 3.3. Weltoffen (Kapitel und Projekte) |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 25.11.2018 |
Eingereicht: | 28.01.2019, 13:40 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Alle für eine, eine für alle: Demokratie
Beschlusstext
Für uns bedeutet Demokratie mehr als Parlamentarismus. Und Demokratie ist kein starrer Rahmen, sondern ist einem steten Wandel unterworfen. Diesen Wandel wollen wir aktiv im Sinne demokratischer Willensbildung voranbringen. Wir wollen direkte, dialogische und repräsentative Formen der Beteiligung miteinander verzahnen, um die Vorteile der verschiedenen Verfahren zur Geltung zu bringen. Bereits als Opposition konnten wir in den letzten Jahren die rot-rote Landesregierung zu einigen Veränderungen bewegen. So tagen seit 2009 die Ausschüsse des Landtages auf unseren Antrag hin öffentlich und nicht mehr hinter verschlossenen Türen. Ebenfalls auf unseren Antrag hin wurde das Wahlalter in Brandenburg auf 16 gesenkt. Zuletzt konnten wir im Bereich der direkten Demokratie Verbesserungen erreichen. So braucht es zukünftig bei Bürgerbegehren nur noch eine amtliche Kostenschätzung statt eines konkreten Kostendeckungsvorschlags, weiterhin wird das jeweilige Anliegen nicht mehr von der betroffenen
Gemeinde, sondern von der neutraleren Kommunalaufsicht auf seine Rechtmäßigkeit geprüft. Im siebten Anlauf konnten wir die Landesregierung schließlich überzeugen, die Kinder- und Jugendbeteiligung obligatorisch in der Kommunalverfassung zu verankern. Endlich sollen Kinder und Jugendliche einbezogen werden, wenn es in der Kommunalpolitik um ihre Belange geht. Für uns gibt es in diesem Bereich aber weiterhin viel zu tun. Wir wollen die Demokratie in Brandenburg weiter voranbringen und sie gegen Feinde verteidigen.
Repräsentative Demokratie weiter entwickeln
Die parlamentarische Demokratie ist der Regelfall und sie soll es auch bleiben, denn trotz aller Unkenrufe funktioniert sie sehr gut. Das bedeutet allerdings nicht, dass keine Verbesserungen mehr möglich sind. Ganz im Gegenteil: Sie sind notwendig. Die Unterrepräsentanz bestimmter Teile der Bevölkerung, geringe Einflussnahme auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments sowie mangelnde Möglichkeiten zur Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren wollen wir angehen. Wir wollen das Wahlrecht dahingehend reformieren, dass zum einen eine 50-prozentige Repräsentanz von Frauen im Parlament sichergestellt wird. Zum anderen sollen die Menschen über offene Listen und Rangfolgewahlverfahren mehr Einfluss auf die konkrete personelle Zusammensetzung des Landtags haben. Wir wollen eine Debatte über die Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre anstoßen. Damit würde sichergestellt, dass die erste Wahl in allen Fällen noch während der Schulzeit stattfindet, und diese schulisch begleitet werden könnte.
Untersuchungen betonen, dass die Teil- oder Nichtteilnahme an der ersten Wahl entscheidend für die Teilnahme an weiteren Wahlen ist. Bürgermeister*innen sowie Landrätinnen und Landräte wollen wir parallel zu den Gemeindevertretungen und Kreistagen wählen und die Amtszeiten synchronisieren. Stichwahlen und Mindestquoren wollen wir abschaffen und stattdessen ein Rangfolgeverfahren einführen. Gewählte Beiräte sollen in den Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen ein aktives Teilnahmerecht erhalten.
Bei der Gesetzgebung wollen wir die Erfahrungen aus Baden-Württemberg mit der „Politik des Gehört Werdens“ aufgreifen. So sollen auch Bürger*innen wichtige Gesetzesvorschläge der Regierung auf einem zentralen Beteiligungsportal im Zuge der ohnehin stattfindenden Verbändeanhörung kommentieren können. Das zuständige Ministerium gibt nach einer Sichtung eine zusammenfassende Stellungnahme ab, die auf dem Beteiligungsportal veröffentlicht wird. In Workshops, Bürgerdialogen, Bürgerforen und Bürgerpanels, Runden Tischen, World-Cafés u.a. werden Betroffene oder zufällig ausgewählte Bürger*innen einbezogen und können die Gesetzesentwürfe diskutieren und Vorschläge und Hinweise sammeln. Wenn Kinder und Jugendliche betroffen sind, muss sichergestellt werden, dass diese auch aktiv in das Verfahren einbezogen werden. Ein*e Staatssekretär*in für Bürgerbeteiligung verantwortet das Ganze und weist potentiell Interessierte aktiv auf laufende Beteiligungsverfahren hin. Wir wollen dies in eine
Gesamtstrategie einbetten, welche die Anregungen der Bürger*innen mit bestehenden Beteiligungsinstrumenten verzahnt, die nötigen Kompetenzen in der Verwaltung aufbaut und den gesamten Ablauf transparent auf dem Beteiligungsportal zusammenführt. Alle öffentlichen Ausschuss- und Plenums-Sitzungen sollen durch einen Livestream auch im Internet verfolgbar sein, wie es in einigen Gemeinden bereits der Fall ist.
Direkter Demokratie zum Durchbruch verhelfen
Die auch von uns angeschobenen Verbesserungen der letzten Jahre können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die direkte Demokratie in Brandenburg immer noch deutlich schwerer hat als in anderen Bundesländern. Wir wollen die Themenausschlusskataloge weiter entschlacken, Hürden senken, die freie Unterschriftensammlung für Volksbegehren zulassen und Volksbegehren und -Entscheiden eine Kampagnenkostenersattung von 25 Cent je Stimme bewilligen. Auf der kommunalen Ebene wollen wir insbesondere die Möglichkeit auch über Themen der Bauleitplanung abzustimmen schaffen und die Fristen für Bürgerbegehren gegen Entscheidungen der Kommunalvertretungen verlängern. Termine von Abstimmungen und Wahlen wollen wir nach Möglichkeit zusammenlegen. Bürgerbegehren wollen wir auch auf Orts- und Stadteilebene zuzulassen, wenn das Begehren sich lediglich auf diese Ebene bezieht.
Dialogische Verfahren stärker nutzen
Dialogische Verfahren jenseits von Parlament und direkter Entscheidung helfen gegen Falschinformationen und können Debatten versachlichen. Damit wirken sie Pauschalurteilen, Polarisierung und innerer Emigration vor. Dafür gibt es eine Fülle von Formaten, welche teilweise auch schon genutzt werden, wie zum Beispiel Bürgerhaushalte, Einwohnerversammlungen oder durch Los bestimmte Zufallsgruppen. Sogenannte aufsuchende Formate, wie sie z.B. in Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ praktiziert werden, können dabei helfen, eher politik- und bildungsferne Bevölkerungsgruppen, junge Erwachsene und Familien, sowie Menschen mit Migrationshintergrund an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Wichtig ist, dass auch die Verwaltung die nötigen Kompetenzen für die Beteiligungsformate erhält. Bereits im Verwaltungsstudium und in späteren Weiterbildungen wollen wir in Brandenburg Bürgerbeteiligung als Bestandteil des Lehrplans etablieren. Diese Kenntnisse ermöglichen es, den Wert von
Beteiligung zu erkennen und Beteiligungsprozesse souverän zu initiieren und zu gestalten.
Transparenzgesetz einführen
Politik und Verwaltung sollten stets offenlegen, welche Grundlagen hinter ihrem Handeln stehen, um fundierte politische Debatten zu ermöglichen. Die Vorstellung des ”Amtsgeheimnisses” wollen wir durch eine Kultur der Transparenz ersetzen, in der Verwaltungsdokumente automatisch, maschinenlesbar und zur weiteren Verwendung veröffentlicht werden, wenn nicht wichtige Gründe dagegen stehen. Dafür wollen wir die verschiedenen Informationsgesetze (UIG, AIG, Verbraucherinformationsgesetz) zu einem Transparenzgesetz weiter entwickeln, das sich an den Regelungen des Hamburger Beispiels orientiert. Alle Verwaltungsdaten sowie Verträge, Regierungsdokumente oder Gutachten, die keiner Schutzbedürftigkeit unterliegen (z.B. personenbezogen oder als geheim eingestuft), sollen in offenen, maschinenlesbaren Formaten proaktiv und zeitnah auf einer zentralen Online-Plattform („Open Data-Portal“) verfügbar gemacht werden. Wer sich um öffentliche Aufträge bemüht, der muss auch die Offenlegung von
Informationen zu dem Auftrag akzeptieren.
DDR-Unrecht weiter aufarbeiten
Knapp 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist eine Aufarbeitung des dort geschehenen Unrechts weiterhin wichtig. Viele der Betroffenen bzw. ehemals Verfolgten leiden bis heute unter den Folgen und müssen unterstützt werden. Zugleich gilt es, die Erinnerung wachzuhalten und hieraus das Bewusstsein für die Demokratie zu stärken. Der Brandenburger Landtag hat insbesondere aufgrund unserer Initiative für eine Enquetekommission in der letzten Legislaturperiode einen umfangreichen Aufarbeitungsprozess durchlaufen, welcher nach wie vor andauert. Von 2010 bis 2014 setzte sich die Enquetekommission 5/1 des Landtags Brandenburg ausführlich mit dem Thema „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ auseinander. Im Mittelpunkt der aktuellen Diskussionen stehen die Verbesserung der sozialen Lage ehemals Verfolgter sowie das Engagement dafür, dass es auch zukünftig eine Außenstelle der Stasi-
Unterlagenbehörde (BStU) in Brandenburg geben wird.
Wir fordern eine fortdauernde und umfangreiche Aufarbeitung von DDR-Unrecht und eine Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission. Maßnahmen zum Gedenken an das geschehene Unrecht, z.B. in Form von Mahnmalen und Gedenkstättenbesuchen, wollen wir weiter fördern . Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft brauchen die Unterstützung und Solidarität des Landes bei der Anerkennung, Rehabilitierung und Entschädigung.
Ehrenamt stärken
Brandenburg lebt vom Ehrenamt. In Willkommensinitiativen, in Sportvereinen, in der Jugendarbeit, im Kulturbereich, beim Bürgerbus, bei sozialen Organisationen und den Tafeln, im Umweltschutz, in der Politik, bei der Feuerwehr, in Kirchen und an vielen weiteren Orten. In ungezählten Stunden bringen sich viele Menschen für die Gesellschaft ein. Und stützen somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Alteingesessene und Neuzugewanderte packen im Land freiwillig an und füllen so manche Lücke in der Versorgung. Wir machen uns für die Belange der Ehrenamtlichen stark und wollen sie dabei weiter unterstützen.
Wir wollen die Ehrenamtskarte, die es in Brandenburg seit 2013 gibt und von der viele Ehrenamtler*innen profitieren, attraktiver und bekannter machen sowie den Inhaber*innen vergünstigte Fahrten im Öffentlichen Nahverkehr in Berlin und Brandenburg ermöglichen. Wer sich unbezahlt in die Dienste der Gesellschaft stellt, soll nicht auch noch für die vollen Fahrtkosten zu einer Fortbildung aufkommen müssen. Auf einen Großteil der Angebote der Ehrenamtskarte kann man derzeit nur in Berlin und im berlinnahen Raum zugreifen. Von Vergünstigungen im Öffentlichen Nahverkehr würden daher Ehrenamtler*innen in ländlichen Regionen besonders stark profitieren.
Die freiwillige Arbeit junger Menschen wollen wir honorieren, wo wir nur können. Ein freiwilliges soziales, ökologisches oder kulturelles Jahr ist eine Bereicherung für die persönliche Entwicklung ebenso wie für unsere Gesellschaft. Es muss dafür ausreichend Angebote geben. Wir werben auch dafür, dieses Engagement zu berücksichtigen, etwa bei der Vergabe von Ausbildungs- oder Studienplätzen. Auch in der Schule wollen wir ehrenamtliches Engagement stärken, etwa die Mitarbeit bei der Schüler*innenvertretung oder Schüler*innenzeitung. Die Schulen wollen wir ermuntern, den Schüler*innen den Einsatz innerhalb eines Ehrenamtes näher zu bringen und dieses in Projekttage oder Wochen zu integrieren.
Die Arbeit der Freiwilligen benötigt auch professionelle Unterstützung. Deshalb wollen wir in der Projektförderung für die Arbeit mit Geflüchteten die Übernahme von Verwaltungskostenpauschalen einführen. Außerdem möchten wir Angebote zu Fortbildung, Beratung und Supervision fördern. Wir wissen, dass der Staat für ein funktionierendes Verwaltungshandeln und professionelle Sozialarbeit zuständig ist. Ehrenamtliches Engagement kann qualifizierte Arbeit, vor allem im Sozialbereich, nur ergänzen, nicht ersetzen. Gerade weil das ehrenamtliche Engagement ein Kernstück der aktiven Gesellschaft ist, wollen wir es vor Missbrauch schützen.
Auf Bundesebene werden wir prüfen, ob durch ehrenamtliche Tätigkeit auch zusätzliche Rentenpunkte zu erwerben sind.